In vielen Teilen der Welt ist Weidehaltung fester Bestandteil der Landwirtschaft. Das hat einen guten Grund: Nicht jede Wiese und Weide ist ein potenzieller Acker. Und: Weidehaltung hilft beim Klimaschutz.
Flächen für Futter
Jedes Jahr im Frühjahr kommen die Kühe im Norden Deutschlands und auch in den Niederlanden auf die Weide. Der Weideaustrieb wird mittlerweile sogar medial begleitet: In vielen Orten wird er regelrecht gefeiert, um den Menschen moderne Landwirtschaft näher zu bringen. Und wer einmal erlebt hat, wie sehr die Kühe sich freuen, wenn sie wieder auf die Weide dürfen, der wird das nicht vergessen: Sie rennen aus dem Stall, machen kleine Luftsprünge und genießen die frische Luft. Es ist herrlich anzusehen!
Warum die Kühe auf die Weide kommen statt das Land für Getreideanbau zu nutzen? Ganz einfach:
In Deutschland werden auf mehr als zehn Millionen Hektar Futtermittel angebaut – das ist mehr als die Hälfte der Agrarfläche des Landes. 2020/2021 bekamen die Nutztiere 195 Millionen Tonnen Futter, davon knapp 24 Millionen Tonnen Getreide, gut 56 Millionen Tonnen Silomais und 62 Millionen Tonnen Grassilage. 95 Prozent des gesamten Futters stammt aus heimischem Anbau.
Grasland ist kein Acker
Für Hühner und Schweine sind Getreide und Hülsenfrüchte die Futtergrundlage. Hier besteht in der Tat eine Nahrungskonkurrenz mit dem Menschen. Rinder und Kühe dagegen konkurrieren nicht automatisch um Nahrungsmittel und Ackerflächen. Es kommt hier auf die Art der Tierhaltung an. Gerade bei Weidebasierter Tierhaltung wie bei vielen unserer Küstenbauern gibt es keine Nahrungskonkurrenz.
Denn Weiden gibt es eine Menge: Mehr als zwei Drittel der weltweit verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzflächen sind Grasland. Darauf können zwar Wiederkäuer weiden, für Ackerbau eignet es sich aus geographischen und klimatischen Gründen jedoch nicht. Denn zum großen Teil entscheiden Boden, Witterung und die Qualität der Ernte darüber, ob entweder Futterpflanzen oder pflanzliche Lebensmittel angebaut werden. In Europa lassen sich rund 65 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Flächen kaum oder gar nicht für die konventionelle Landwirtschaft nutzen.
Rinder verwerten nachhaltig
Ohne Tiere wäre Gras für den Menschen nutzlos. Als Wiederkäuer können Rinder und Kühe, was wir Menschen nicht können: Grünfutter verdauen und verwerten. Doch Rinder verwerten nicht nur Gras, Heu und Silage. Sie fressen auch Zwischenfrüchte der landwirtschaftlichen Fruchtfolge, etwa Kleegras, Grünroggen und die eiweißreichen Lupinen. Zwischenfrüchte sind für Ackerland eine Erholungspause: Im Wechsel mit Erntepflanzen wie Getreide oder Kartoffeln angebaut, bilden sich durch Zwischenfrüchte im Boden wieder neue Nährstoffe. Insgesamt 80 bis 85 Prozent dessen, was Rinder fressen, eignet sich nicht für die menschliche Ernährung. Wenig Konkurrenz also zwischen Trog und Teller.
Dazu kommt: Ohne die Nutztierhaltung gäbe es deutlich weniger pflanzliche Lebensmittel. Denn jedes Kilogramm pflanzlicher Lebensmittel ist mit einer großen Menge für Menschen nicht-essbarer Biomasse verknüpft. Beispiel Weizen: Wir Menschen konsumieren nicht die ganze Weizenpflanze, sondern nur die Hälfte: die Körner. Rinder dagegen fressen die Hauptabfallprodukte der Getreideernte und Mehlproduktion: Stroh und Kleie. Außerdem verwerten sie die Abfälle aus der Produktion pflanzlicher Öle, also die Reste von Raps- Sonnenblumen- und Leinsamenpflanzen.
Weiden speichern Treibhausgase
Land- und Forstwirtschaft haben ein besonderes Potenzial. Zwar verursacht die Branche genauso Klimagase wie jede andere Branche auch. Doch anders als alle anderen Branchen kann sie Klimagase in Böden und Wäldern speichern. Bei der Tierhaltung bedeutet es: Werden Kühe auf der Weide gehalten oder bekommen sie Grünfutter, wird dadurch Grasland erhalten. Das wiederum enthält viel fruchtbare organische Substanz – der sogenannte Humus – und ist dadurch ein sehr guter CO2-Speicher.
Während ein Hektar Ackerland im Schnitt 100 Tonnen kohlenstoffhaltiges Material bindet, sind es in einem Hektar Weide und Wiese doppelt so viel. In Weideland steckt gut ein Drittel des in den Ökosystemen der Erde gespeicherten Kohlenstoffs. Jede weitere Tonne Humus im Boden entlastet die Atmosphäre um 1,8 Tonnen CO2. Somit ist die Kuh nicht automatisch ein Klimakiller. Ganz im Gegenteil – Weidehaltung hilft sogar dem Klima. Grünland in Ackerland zu verwandeln belastet dagegen das Klima: der Abbau von Humus setzt die darin gespeicherten Treibhausgase wieder frei.
Weidehaltung garantiert Artenvielfalt
Weiden sind nicht allein etwas für Kühe und Rinder. Weiden sind auch Lebensraum für andere Tierarten wie Vögel und Insekten. Mehr noch: Weidetiere schaffen erst den Lebensraum für andere Arten. Denn durch das Beweiden entstehen Flächen mit niedriger Vegetation. Vögel wie der Star, die Bachstelze und der Kiebitz mögen solche Flächen, weil sie dort schnell und viel Nahrung finden. Auch der Steinkauz braucht zur Nahrungssuche Gebiete mit niedriger Vegetation. Besonders intensiv beweidete Flächen wimmeln meist von Insekten: Käfer lieben Weiden, weil sie im Dung der von Kühen & Co. besonders viel Futter finden. Käfer wiederum sind die Futterbasis für Vögel und Fledermäuse. Mehr als die Hälfte aller Tierarten in Deutschland leben auf Grünland. Auch für Pflanzen sind Weiden ideal: Rund 40 Prozent aller seltenen Farn- und Blütenpflanzen wachsen in Deutschlands Grünland. Forscher meinen: Grünland bietet mehr Biodiversität als ein Acker.
Weiden schützen vor Extremwetter
Wiesen und Weiden tragen auch zum Klimaschutz bei, weil die Flächen weniger von Erosion betroffen sind. Da auf Grünland das ganze Jahr über etwas wächst, ist der Boden vor Austrocknen und dem Abtrag durch Wind und Wasser geschützt. Dazu kommt: Grünland bindet besser Wasser als Ackerland. Auch bei Starkregen kann das Wasser gut versickern. Die hohe Wasserspeicherkapazität von Wiesen und Weiden schützt die Böden vor Dürre und wappnet Landschaften gegen Hochwasser – Extremwetterereignisse, die mit dem Klimawandel weiter zunehmen werden.
Weidetiere liefern Dünger
Der Anbau von Obst, Gemüse und Getreide entzieht dem Boden wichtige Nährstoffe wie Phosphor, Kalium und Stickstoff. Um die Böden fruchtbar zu halten, brauchen sie nach der Ernte wieder frische Nährstoffe. Sie stecken in synthetisch hergestelltem Kunstdünger. Und sie stecken im Dung und Mist von Kühen und Rindern. Weidetiere liefern organischen Dünger für das Pflanzenwachstum, das steigert die Produktion pflanzlicher Lebensmittel.
Nicht die Kuh ist also das Problem. Es sind komplexe Systeme, bei denen vieles ineinander greift. Und es sind komplexe Fragestellungen, bei denen man nicht einfach einen Aspekt rausnehmen kann, ohne dass es Auswirkungen auf etwas anderes hätte.
2 Kommentare zu „Weidehaltung: Warum sie gut fürs Klima ist“
Lieber Herr Ritter,
ganz lieben Dank!
Viele Grüße, Insa Rücker
Daumen hoch !! Ein sehr guter Beitrag !! Leider sind vielen die Zusammenhänge nicht bekannt.